Barfuß im Handstand

Life. Love. Sex. Peace. Hate. Sadness. Madness

Archiv für den Monat “Juni, 2014”

Der Mensch ist ein psychologisches Kuriosum

Auf Generalprobenbesuch: Die Theatergruppe „Schall & Rauch“ spielt Tschechows „Die Möwe“

Knapp zwei Monate harte Vorbereitung, selbstgezimmerte Requisiten, selbstentworfene Plakate (die übrigens ständig geklaut werden) und ein hochmotiviertes Arbeitsklima: Die versierte Freiburger Theatergruppe Schall & Rauch erhebt heute Abend die Premiere ihrer neuen Produktion Die Möwe nach Anton Tschechow. Geboten wird keine historische Inszenierung, sondern eine dynamische Performance höchster Aktualität.


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Jammern und Schaudern, Heldentod, eben große Dramatik: Die Elemente des klassischen Dramas wollte Tschechow so gut es geht vermeiden. „Ich wollte etwas ganz anderes. Ich wollte einfach und ehrlich sagen: schaut euch an, seht doch, wie schlecht und langweilig ihr euer Leben führt!“ ließ der Großmeister verlauten, nachdem die Uraufführung 1896 zunächst auf viel Ablehnung stieß. Weg von der Rührseligkeit und hin zur humorvollen Groteske (Tschechow setzte wohlüberlegt die Gattung der Komödie unter seinen Titel).

Genau so will es das Regisseur-Duo Jonas Schneider und Lukas Große-Kleimann, die sich technisch und inszenatorisch bestens ergänzen, vermitteln. Die Frage ist, wie kann man eine Identifikation mit dem Zuschauer erreichen, wenn nahezu das ganze Inventar an Protagonisten unsympathische Egomanen sind?

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Durch Abwechslungsreichtum! („Wir brauchen neue Formen!“) Das Publikum sitzt nicht wie gewöhnlich einfach nur vor der Bühne, es ist Teil des Geschehens. Die unsympathischen Charaktere werden vielseitig beleuchtet und teilweise von mehreren Schauspielern in Szene gesetzt. Die Personen stehen im Vordergrund, nicht die Story.

Die Schauplätze des Vierakters sind wie kleine verstreute Inseln im Theaterraum verteilt und nehmen damit die Isolation der hochgetriebenen Individualisten vorweg. Paralleles Spielgeschehen pulsiert authentisch. Die Dialoge um Lethargie, Weltschmerz, den Begriff der Kunst und natürlich Liebe tendieren zu Monologen. Die Sucht nach Ruhm und Glanz in einer Wohlstandsgesellschaft, die der Sinnlosigkeit und dem Schwermut des Lebens zu entfliehen versucht, führt zum Dilemma des Individualisten. Jeder ist so sehr mit sich selbst beschäftigt, hegt große Erwartungen, ist in seinen Problemen derart verhakt, dass er unfähig ist, aus seinem vermeintlichen Unglück herauszutreten („Ich weiß nicht, worin meine Berufung besteht“). Dialogfreie Szenen machen den Eindruck als wäre die Gemeinsamkeit endgültig verschwunden. Reden viel, aber handeln wenig. Der ein oder andere Zuschauer fühlt sich bestimmt ertappt.

Durch „krasse Teamleistung“ und ein Gemisch aus Schöpfungslust und Konzentration, so Regisseur Jonas Schneider, wuchsen der zeitlosen und aktuell oft aufgeführten Möwe Flügel. Man sollte das Chaos überfliegen, für sich und für andere, die vielleicht darunter leiden; mal die Vogelperspektive einnehmen und einsehen wie absurd manch ein hochgetriebener Individualismus doch ist. Wie paradox es doch klingen mag: Die Möwe holt einen mit dieser beflügelnden Inszenierung zurück auf den Boden der Tatsachen. Ein Schauspiel. Eine Inspiration. La grande bellezza.

Die Möwe“ der Theatergruppe Schall & Rauch ist im Theatersaal der alten Uni zu sehen. Karten für den 28. und 29. Juni sowie den 4./5./6. Juli gibt’s bei der Buchhandlung Schwanhäuser.

 

Mal Meeresrauschen, mal Donnerwetter: The Brew im Jazzhaus

Schlagzeug, Bass, Gitarre – mehr braucht das Classic-Rock-Trio The Brew aus der englischen Küstenstadt Grimsby nicht, um das Jazzhaus mal mit Meeresrauschen, mal mit Donnerwetter zu beglücken. fudder-Autor Jens Grosskreuz war dabei:

„Wie entsteht die Live-Energie, für die wir bekannt sind?“, fragte sich Sänger und Gitarrist Jason Barwick von The Brew, als man ihn in einem Interview auf das Geheimrezept ihrer neuen Platte Control anspricht. Schlagzeug, Bass und Gitarre stehen im Mittelpunkt, ohne das ganze Drumherum!

Man möchte sagen, dass das Trio aus der Küstenstadt Grimsby (UK) mittlerweile alte Bekannte sind, immerhin rocken sie Freiburg jährlich. Ein bisschen ist es auch Heimspiel, da das Label Jazzhaus Records Mutterschiff ist. Sie beherrschen ihr Handwerk wie alte Hasen, müssen sie auch, denn bei der Freisetzung diesergewaltigen Energie, ist Taktgefühl unabdingbar.

Dass das Gang und Gäbe ist, beweist der Drummer Kurtis Smith in einem überragenden Solo. Überragend deshalb, weil er die bis dahin gekannten Solonummern mit einer Originalität durchboxt, so dass einem die Ohren schlackern. Er schmeißt die Sticks weg, jetzt braucht’s nur noch die Hände. Ein Uhrwerk, eine Maschine. Vergesst die Drum-Computer! Smith ist authentisch.

Im Vergleich zum fliegenden Classic-Rock-Trio kommt die Vorband Kamchatka eher gesetzter daher. Mit Rauschebart, Halfbeat und Balladen frönen sie rollendem Blues. Die älteren Sympathie-Bolzen aus Schweden verbinden den Boogie schon mal mit Schlepprock. Dann aber jagt die helle und hoffnungsvolle Stimme des Sängers Thomas Andersson die Gitarre, oder war es andersherum?

Starke Einflüsse namens Hendrix, Lynyrd-Skynyrd, späte 60er und 70er aber auch Stoner-Rock wie Kyuss ergeben einen dynamischen Breitwand-Sound. Sie überzeugen mit mehr Eigenwilligkeit und Charakter als die Hauptband. Ein Glück sie als Vorband gesehen zu haben.

Thomas Andersson kommt während der Zugabe von The Brew nochmal mit Beck’s in der Hand auf die Bühne und bedankt sich beim Sänger Barwick mit Umarmung, dem Publikum lässt er verlauten: „Thank you so much Freiburg, thank you so much you Brew-guys for opening our wings.“ Es geht um ein gute Nachbarschaft, auch wenn sie laut ist.

Einer der Knaller heißt „Every gig has a neighbour“, was soviel bedeuten mag: Dreht den Sound so laut auf wie ihr könnt, es gibt immer einen, dem es nicht passt. Barwick schreit ins Mic: „Fuck off!“ Ansage. So geht’s dann auch weiter. Diese Band findet keine Ruhe, nicht einmal in Schmusestücken, dort prescht irgendwann einmal die Gitarre durch.

Highlights sind die ausladenden, verzweigten Instrumental-Stücke. Barwick nimmt den lädierten Geigenbogen und entlockt seinem Schmuckstück mal Meeresrauschen, mal Donnerwetter. Rückkopplung und Applaus geben sich die Hand. Das Publikum schäumt, es ist bockheiß vorne, es wird getanzt, eine kräftige Stimme meldet sich, während die Wucht ausnahmsweise mal ausklingt, mit „Vollgas!“.

Barwick geht vom Wasser über in Weißwein. Auf ex versteht sich. Jetzt kommt ihre große Stärke, ihr Ursprung zutage. „This is for you Freiburg!“ Die Band bedankt sich mit „Whole lotta love“ und weiteren Interpretationen von Led Zeppelin. Man wird entlassen mit Ohrwurm. Ausgestattet mit Metronom. Vor drei Jahren ging ich davon aus, dass sie musikalisch-künstlerisch ihren Zenith erreicht haben. Im Jazzhaus wurde ich des besseren belehrt. Nach oben hin ist immer Platz.

Song of Waitaha

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